Pai – 9 Wochen im sinnlichen Nichtstun

Nach fast vier Wochen im thailändischen Süden trete ich nun von Krabi die Reise in den Norden an. Die zwölfstündige Fahrt mit dem Nachtbus nach Bangkok und die nochmal solange Weiterfahrt mit dem Zug nach Chiang Mai ist nicht sehr entspannt für mich. Auch wenn viele Reisende vom Komfort der Nachtbusse schwärmen, meiner ließ dies vermissen und an Schlaf war so gut wie gar nicht zu denken. Total übermüdet komme ich um fünf Uhr morgens in Bangkok an und bin froh endlich den öffentlichen Bus zum Bahnhof gefunden zu haben. So sitze ich nun zum zweiten Mal in der Wartehalle der Trainstation und da der Zug Verspätung hat, verbringe ich dort die nächsten vier Stunden. Dafür darf ich ein interessantes Schauspiel beobachten. Wie jeden Tag, pünktlich um acht Uhr, erklingt die Nationalhymne und alle Menschen bleiben stehen oder erheben sich von ihren Plätzen um den König zu ehren, danach geht jeder wieder seinem Tun nach. Endlich im Zug, erfreue ich mich so gar nicht über meinen Sitznachbarn, der entweder laute Selfievideos vom Handy laufen lässt oder schlafend immer wieder meine Nähe sucht. Nach einer gefühlten Ewigkeit komme ich in Chiang Mai an, buche mir noch schnell den Transfer für den nächsten Tag nach Pai , suche ein Hotelzimmer und bin mir sicher, dass ich das nächste Mal wieder mit dem Nachtzug fahren werde.

Als die ich am nächsten Morgen auf den Transfer warte, bin ich mir nicht mehr so sicher, ob ich mich auf Pai freue. Ich konnte die Zeit des alleine Seins sehr genießen und war mir oft selbst genug. Die Vorstellung, dass ich nun für die nächsten zwei Monate an einem Ort sesshaft werde und ich ständig von Menschen umgeben bin, ist gerade nicht so anziehend. Bisher konnte ich mich jeder Begegnung auf meiner Reise schnell wieder entziehen, wenn es für mich nicht mehr stimmig war. Das wird im Glückscamp anders sein. Als ich dann allerdings im Minivan von Chiang Mai nach Pai sitze, erfasst mich bald das gleiche berauschende Gefühl, das ich ein Jahr davor bei meiner Abreise von Pai hatte. Jetzt fließt das zweite Mal, seit ich auf der Reise bin, eine Träne der Freude über mein Gesicht.

Die Ankunft im Camp ist dann auch wie ein nach Hause kommen. Außer dass für mich ein paar Gesichter neu sind, hat sich nicht wirklich etwas verändert. Ich miete mir einen Roller und besorge gleich mal ein paar Accessoires um meinen Bungalow etwas heimeliger einzurichten, denn ich bin ja jetzt erst mal für die nächste Zeit hier an diesem Ort und die Gemütlichkeit, die ich von zu Hause kenne, vermisse ich schon ein wenig. Die ersten Tage sind sehr entspannt und ich fühle mich rundum wohl. Nach der Zeit des alleine Seins, genieße ich die schönen Gespräche mit den mir bereits bekannten und vertrauten Teilnehmern, aber auch mit den Neuen.

Die Tage verlaufen ähnlich wie das Jahr davor, morgens der Workshop von Manfred, dann meist gemeinsam zum Frühstücken und abends irgendwo lecker Essen gehen. Dazwischen ist viel Zeit zum Chillen, Plaudern, Spielen, Philosophieren, das bunte Treiben auf der Walking Street beobachten und einfach mal wieder nichts tun. Die Mischung aus dem Allen und die gemeinsamen Ausflüge zu verschiedenen Wasserfällen, den Hot Springs, Spielenachmittage im klimatisieren Café und Unternehmungen im Alleingang lassen die Tage oft viel zu schnell vergehen.

Die ersten 14 Tage gab es nichts, was mich aus der Ruhe gebracht hat. Ich war gut gelaunt, offen für alles und jeden und ich fühlte mich sehr im Frieden. Und dann setzten die inneren Prozesse ein. Die nächsten sieben Wochen war mein Dasein im Camp geprägt von einer Achterbahnfahrt der Gefühlszustände. Nach einem tagelangen verzweifelten inneren Kampf siegte etwas, was ich nicht in Worte fassen kann. Es war alles so paradox und mit dem Verstand nicht zu begreifen. Es war wie ein Durchbruch zum Erkennen. Ich habe kein Tool mehr verwendet, damit es mir besser geht. Ich habe nur noch wahrgenommen, dass es so ist. Ich gab Illusionen des Egos auf und bekam dadurch eine neue Sicht auf manche Dinge. Auch wenn ich jetzt nicht freudestrahlend durch die Gegend lief, etwas in mir hatte sich verändert. Immer wieder wollte ich mich bewegen, wollte unter Menschen, wollte etwas erleben, aber mein Körper hat mich durch alle möglichen Leiden zum weiteren Nichtstun gezwungen. So vergingen die Tage in einer fast schon angenehmen Langsamkeit und einer Hingabe ans Leben wie es ist.

Als ich dann beim Blick auf mein Konto die Entscheidung treffen muss, die Reise zu beenden, kam ein freudiges Gefühl auf zu Hause auf und ich wollte plötzlich so schnell wie möglich heim. Allerdings war ein erschwinglicher Rückflug erst Ende April verfügbar. Nun gut, vielleicht soll es genau so sein, dass ich das Erlebte erstmal noch in einer Zeit des alleine Reisens veredle.

So geht meine Reise nun weiter nach Laos, in ein Land, mit dem ich mich noch gar nicht beschäftigt habe und ich mich somit ohne Vorbereitung ins nächste Abenteuer begebe….